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Millionenförderung für Siegener Beteiligung am ATLAS-Experiment

Teilchenphysiker:innen der Universität Siegen forschen weiter am ATLAS-Experiment am Genfer CERN. Ab 2026 soll ein grundlegendes Upgrade des ATLAS-Detektors erfolgen – die Module dafür werden teilweise in Siegen gebaut.

46 Meter lang, 25 Meter hoch und damit etwa halb so groß wie die Kirche Notre Dame in Paris: Der ATLAS-Detektor am Genfer CERN (Europäische Organisation für Kernforschung) ist ein gewaltiger Detektor der Teilchenphysik. Ein einzigartiges Hightech-Werkzeug, das Elementarteilchen aufspüren kann, die durch Protonen-Zusammenstöße im Teilchenbeschleuniger Large Hadron Collider (LHC) entstehen. ATLAS ist eines von vier großen Experimenten am LHC. Physiker:innen erhoffen sich davon Erkenntnisse zu bisher ungelösten Fragen der Physik – zum Beispiel zur Natur der dunklen Materie.

Bereits seit vielen Jahren gehören auch Experimentalphysikerinnen und -Physiker des Center for Particle Physics (Zentrum für Teilchenphysik) der Universität Siegen zum internationalen Forschungsverbund am ATLAS-Experiment. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) hat nun erneut rund 2,1 Millionen Euro bewilligt, um zwei Siegener ATLAS-Projekte zu unterstützen.

„Ich freue mich sehr über die Förderung, die auch als Würdigung unserer bisherigen Arbeit am ATLAS-Experiment zu sehen ist“, sagt Prof. Dr. Markus Cristinziani, Leiter der Siegener Arbeitsgruppe für Experimentelle Teilchenphysik. „Wir steuern am CERN aktuell auf eine hochspannende Phase zu, in der die Leistung des LHC noch einmal deutlich gesteigert werden soll – um dem gerecht zu werden, müssen wir auch den ATLAS-Detektor noch einmal gründlich überarbeiten. Dieses Upgrade ist ein wichtiges Projekt, an dem wir in der kommenden Förderphase beteiligt sind.“

Der Large Hadron Collider am CERN soll 2029 in die sogenannte „High-Lumi“-Phase eintreten. Das bedeutet, dass die Energie, auf die die Protonen beschleunigt werden, noch einmal leicht gesteigert wird. Vor allem aber wird die Kollisionsrate – in der Fachsprache auch als „Luminosität“ bezeichnet – deutlich erhöht. So sollen im Beschleuniger künftig etwa zehn Mal mehr Protonen-Kollisionen stattfinden, als seit dem Start des LHC gesammelt wurden. Dadurch steigt auch die Wahrscheinlichkeit, seltene Teilchen wie etwa das Higgs-Boson oder sogenannte Top-Quarks aufzuspüren – vorausgesetzt, die Detektoren werden so aufgerüstet, dass sie der höheren Intensität des LHC gerecht werden.

„Das ultra-präzise Herzstück des ATLAS-Detektors ist der aus rund 10.000 kleinen Modulen zusammengesetzte Pixeldetektor“, erklärt Cristinziani. „Diese Module gibt es nicht von der Stange, sondern sie werden eigens für das ATLAS-Experiment entwickelt und produziert.“ Rund 200 der High-Tech-Module sollen in den kommenden Jahren an der Uni Siegen hergestellt und anschließend am CERN mit weiteren Modulen zum großen neuen Detektor zusammengesetzt werden. Für die Modul-Produktion entsteht am Siegener Emmy-Noether-Campus eigens ein Reinraum, der Ende 2025 fertig werden soll.

Neben dem Upgrade des Pixel-Detektors beschäftigen sich die Siegener Physiker:innen in den nächsten Jahren weiter mit der Analyse der am ATLAS-Experiment gewonnenen Daten. Ein Schwerpunkt liegt dabei auf der Charakterisierung des Top-Quarks – einem bisher wenig erforschten Elementarteilchen, das viel Masse besitzt, aber gleichzeitig nur eine sehr kurze Lebensdauer aufweist. Cristinzianis Kollege, Prof. Dr. Ivor Fleck erklärt: „Mit dem Pixeldetektor können wir die Spuren nachweisen, die Top-Quarks nach dem Zerfall hinterlassen. Daraus können wir dann mit Hilfe physikalischer Berechnungen Rückschlüsse auf die Eigenschaften des Top-Quarks ziehen.“

In den kommenden Jahren möchte sich das Siegener Team unter anderem mit der Frage beschäftigen, ob ein Top-Quark in neuartige Teilchen zerfallen kann, die bisher noch nicht beobachtet wurden: „Wenn man davon ausgeht, dass Dunkle Materie Teilchencharakter hat, dann wären diese hypothetischen Teilchen ein heißer Kandidat“, sagt Cristinziani.

Mit ihren Projekten in der Top-Quark-Physik sind die Siegener Physiker:innen international führend. Diese Expertise bringen sie auch in das geplante Exzellenzcluster „Color meets Flavor“ ein, das Anfang Februar die erste Auswahlrunde im wichtigsten deutschen Forschungswettbewerb erfolgreich passiert hat. Weitere Informationen zu dem gemeinsamen Vorhaben mit den Universitäten Bonn und Dortmund sowie dem Forschungszentrum Jülich finden Sie hier

Hintergrund:
Die Förderung der Siegener ATLAS-Projekte erfolgt im Rahmen des BMBF-Forschungsschwerpunktes „Physik bei höchsten Energien am Large Hadron Collider“. An dem Forschungsnetzwerk sind neben der Universität Siegen weitere 15 deutsche Universitäten und Institutionen beteiligt. Insgesamt arbeiten am ATLAS-Experiment mehr als 3000 Wissenschaftler:innen aus 38 Ländern zusammen.

Kontakt:
Prof. Dr. Markus Cristinziani
Tel.: 0271 740-3629
E-Mail: Markus.Cristinziani@uni-siegen.de

Prof. Cristinziani auf dem CERN-Gelände. Das Wandbild im Hintergrund stammt von Josef Kristofoletti und zeigt den ATLAS-Detektor im Querschnitt.
(Foto: M. Cavazza, CERN)
(Fotos oben: CERN)

Aktualisiert um 10:01 am 27. April 2024 von Thomas Reppel

Mathematiker forschen zum Klimawandel

Geomathematiker Prof. Dr. Volker Michel und sein Team arbeiten an einem Algorithmus, mit dem man die Beziehung zwischen geschmolzenem Eis und Messdaten aus dem Orbit besser berechnen kann.

Der Klimawandel ist in aller Munde. Während die einen über geeignete Maßnahmen diskutieren, streiten andere über Kosten und Zumutbarkeit. Und noch ganz andere melden mit teils schrägen Argumenten Zweifel am Klimawandel selbst an. Dabei ist die Verstärkung des Treibhauseffekts längst Realität geworden. Doch woher wissen wir eigentlich, dass es eine globale Erwärmung gibt?

Es gibt eine ganze Reihe von Antworten. Daten und Untersuchungen bestätigen die These vom menschengemachten Klimawandel: von Hunderttausende von Jahren alten Gasblasen in Bohrkernen des ewigen Eises bis hin zur technischen Überwachung der Veränderungen unseres Planeten.

Daten und Zahlen sind die Basis aller Betrachtungen und Modelle. Die Arbeitsgruppe Geomathematik der Universität Siegen, unter der Leitung von Prof. Dr. Volker Michel, erforscht, wie man mit Datenmengen umgehen kann, um noch präzisere Aussagen über die Folgen des Klimawandels treffen zu können. Sein Team muss dabei auf Know-how aus unterschiedlichen Bereichen der Mathematik zurückgreifen und setzt für die Experimente mit den neuen Lösungsverfahren auch den Hochleistungsrechner OMNI der Universität ein.

Die Daten, mit denen wir arbeiten, stammen von der deutsch-amerikanischen Satellitenmission namens GRACE, also Gravity Recovery and Climate Experiment“, erklärt Prof. Michel. „Seit etwa zwanzig Jahren beobachtet man hiermit, wie sich die Schwerkraft der Erde verändert.“ Aber was hat dies mit dem Klimawandel zu tun? „Das Gravitationsfeld unseres Planeten wird von dessen Masse verursacht, doch diese Masse ist nicht gleichmäßig verteilt und jene Verteilung verändert sich“, so der Geomathematiker. „Wenn Gletscher beispielsweise über Grönland schmelzen, dann gehen dort Wassermassen verloren, die sich in den Atlantischen Ozean mischen.“ Tatsächlich kann man messen, dass sich die Umlaufbahnen der GRACE-Satelliten im Laufe der zwanzig Jahre über Grönland verändert haben. Die Insel zieht die Trabanten offenbar mit immer weniger Masse an. Man geht davon aus, dass Grönland pro Jahr mehr als 200 Milliarden Tonnen Eis verliert.

Doch von der Ermittlung der Bahn dieser Satelliten bis zur Berechnung des Verlustes der Eismassen ist es ein weiter und höchst komplizierter Weg. Innerhalb nur eines Monats erhält man etwa eine halbe Million Messdaten an verschiedenen Punkten der Orbits. Eine, noch auf Newton zurückgehende mathematische Gleichung liefert die Beziehung zwischen geschmolzenem Eis und Messdaten im Orbit. Michels Arbeitsgruppe erforscht, wie man diese Gleichung in Anbetracht solcher Datenmengen noch besser lösen kann.

Ein Vorteil der Mathematik ist, dass Probleme von einem abstrakten Standpunkt aus betrachtet werden. So hat Volker Michel schon vor Jahren entdeckt, dass seine Forschung eng verwandt ist mit Fragestellungen, die in der Hirnforschung auftreten. Alle Vorgänge im Gehirn gehen mit elektrischem Strom durch die zerebralen Neuronen einher. Dieser Strom erzeugt ein elektrisches und ein magnetisches Feld, welche man messen kann.

Die mathematische Herausforderung ist nun, aus diesen Messungen zu bestimmen, wo gerade innerhalb des Gehirns Strom fließt, wo also Neuronen aktiv sind. Für die Hirnforschung ist dies ein wichtiges Hilfsmittel, weil man so herausfinden kann, wie unser Gehirn funktioniert. Dies klingt zunächst nach einem ganz anderen Problem als die Erforschung des Klimawandels. Doch wenn man tief in die Theorie der beiden Themen hineinblickt, erkennt man sehr ähnliche mathematische Strukturen, und das war eine wertvolle Erkenntnis.

In enger Zusammenarbeit mit dem Mathematiker und Mediziner Professor Athanassios S. Fokas von der Universität Cambridge und dem Physiker Dr. Olaf Hauk am Hirnforschungszentrum in Cambridge konnten so neue Erkenntnisse sowohl über die Berechnung der Eisschmelze gewonnen werden als auch über die Ermittlung neuronaler Ströme im menschlichen Gehirn.

Dies ist nur ein Beispiel von mehreren, warum der mathematische Blick über den Tellerrand Forschung vorantreiben kann. So arbeiten die Siegener Geomathematikerinnen und Geomathematiker auch an einem verwandten Problem in der Erdbebenforschung. Denn dort versucht man unter anderem, aus seismischen Daten mehr über verborgene Strukturen im Erdinneren zu lernen – eine Erkenntnis, die essentiell ist, um mehr über Vorgänge im komplexen System Erde zu erfahren, beispielsweise über Vulkanismus und die tektonische Plattenverschiebung. Diese Siegener Forschung wurde von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mehrfach gefördert.

Dabei ist die interdisziplinäre Forschung mit vielen Schwierigkeiten verbunden. Einerseits ist die angesammelte Kompetenz der Gruppe entscheidend, um die Probleme mathematisch korrekt anzugehen. So steht die Theorie-Arbeit zunächst immer im Vordergrund, aber andererseits darf es dabei nicht bleiben. „Es ist viel leichter, im Elfenbeinturm ein erfundenes Rätsel zu lösen, als sich mit konkreten Datensituationen zu einem realen Problem auseinandersetzen zu müssen, da kann man nicht einfach mal Fünfe gerade sein lassen“, betont AG-Leiter Michel schmunzelnd. „Aber gerade das motiviert uns, weil wir wissen, dass wir an wichtigen Themen aus der Praxis arbeiten.“

In den bisherigen Projekten, aus denen mehrere Doktorarbeiten und andere Publikationen entstanden sind, konnten bereits erste Erfolge mit einem neuen Lösungsverfahren erzielt werden. Ein Ziel der neuen Methode sollte es sein, dass man bisher konkurrierende Ansätze miteinander vereinen kann, um sich so das Beste aus den verschiedenen „Welten“ herauszupicken. In der Tat ist dies gelungen und der Algorithmus konnte von seiner anfänglich experimentellen Form nicht nur auf eine solide theoretische Grundlage gestellt werden, die klar nachprüfbare Bedingungen für seine Anwendbarkeit liefert. Es gelang auch, das Verfahren in mehreren Aspekten so weiterzuentwickeln, dass es deutlich schneller wurde und nun größere Datenmengen verarbeiten kann.

Geomathematiker Prof. Dr. Volker Michel nutzt die Daten der Satellitenmission GRACE für seine Berechnungen zum Klimawandel.

Aktualisiert um 8:52 am 18. April 2024 von Thomas Reppel

Standing Ovations für Quantenphysik

Zum zweiten Mal präsentierte sich das Department Physik der Universität Siegen im Siegener Apollo-Theater. Vor vollen Rängen zeigte das Team einen Mix aus Wissenschaft, Musik und Akrobatik – im Fokus stand diesmal die Quantenphysik.

Mit hoher Physik die Ränge des Siegener Apollo-Theaters komplett füllen – dass das funktioniert, hat das Team des Siegener Physik-Departments jetzt erneut unter Beweis gestellt. Auch bei der zweiten Auflage von „Physik im Apollo“ platzte der Theatersaal aus allen Nähten. Dabei hatte es das Thema durchaus in sich: Im Mittelpunkt stand dieses Mal die Quantenphysik, also jene Physik, die ganz anders funktioniert als die so genannte „klassische“ Physik und auch als alles, was wir aus unserem „normalen“ Alltagserleben kennen. Warum die Quantenphysik gerade deshalb das Potenzial hat, die Computerentwicklung zu revolutionieren, erfuhr das Publikum in einem kurzweiligen und unterhaltsamen Mix aus Vorträgen, Akrobatik und Musik. Das Besondere: Alle Künstlerinnen und Künstler, die dabei auf der Bühne standen, sind entweder selbst Physiker:innen – oder dem Siegener Physik-Department sehr eng verbunden.

„Das war ein toller Abend. Unseren Physikerinnen und Physikern ist es auf hervorragende Weise gelungen, ein wichtiges und hochkarätiges Forschungsthema unserer Universität einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Die enge Verbindung zwischen Universität und Stadt, zwischen Wissenschaft und Bürgerinnen und Bürgern ist mir persönlich ein großes Anliegen. Deshalb danke ich allen Beteiligen sehr herzlich für ihr Engagement“, sagte Uni-Rektorin Prof. Dr. Stephanie Reese. An der Uni Siegen wird seit vielen Jahren intensiv im Bereich der Quantenphysik geforscht, das Department Physik ist unter anderem Standort des ersten deutschen Quantencomputers. Damit griff die Reihe „Physik im Apollo“ ein weiteres Mal eines der großen Siegener Forschungsthemen auf – nach der ersten Ausgabe, bei der die Teilchenphysik im Mittelpunkt stand. In diesem Themenbereich haben die Siegener Physiker:innen jüngst erfolgreich die erste große Hürde im Exzellenzcluster-Wettbewerb genommen.

Q-Bits können eine Menge mehr, als „0“ und „1“

Eröffnet wurde die 2. Ausgabe vom Siegener Physik-Professor und Initiator der Veranstaltung, Prof. Dr. Alexander Lenz mit einem „Crashkurs“ in Quantenphysik: „Sie werden jetzt in 30 Minuten lernen, wofür unsere Studierenden 15 Wochen lang eine jeweils vierstündige Vorlesung besuchen“, kündigte Lenz mit einem Augenzwinkern an – um das Publikum dann mitzunehmen auf eine Zeitreise ins Jahr 1925, in dem die neuen Gesetze der Quantentheorie entdeckt wurden. Damals noch reine Grundlagenforschung und von großen Physikern wie Albert Einstein kritisch beäugt, verspricht die Quantenmechanik heute Anwendungspotenziale in vielen Bereichen: Von Lasern, über Halbleiter bis hin zu Quantencomputern.

Aber was macht Quanten eigentlich so besonders? Und was können Quanten-Bits, was klassische Bits nicht können? Um das zu veranschaulichen, bat Lenz kurzerhand seine Frau Dr. Marion Lenz und seine beiden Söhne Leon (20) und Kilian (15) auf die Bühne. Zusammen bildet die Familie die Akrobatik-Formation „formafortis“ – und mit Hilfe der Akrobatik veranschaulichten die Vier auch die außergewöhnlichen Eigenschaften von Q-Bits: Während klassische Bits nur den Zustand „1“ (ins Publikum schauen) oder „0“ (dem Publikum den Rücken zukehren) kennen, können Q-Bits die tollsten Kunststücke vollführen: Erst recht, wenn sie sich zu Mehreren zusammentun (physikalisch wird das als „Verschränkung“ bezeichnet). Spätestens nach dem Titel „Radioactivity“ von Kraftwerk, zu dem auch Lenz selbst vom Anzug ins Akrobatikoutfit wechselte, hatte das staunende Publikum verstanden: Q-Bits können noch eine Menge mehr, als nur „0“ und „1“.

Mehr Basiszustände als Atome im Universum

Den Hauptvortrag hielt im Anschluss Dr. Heike Riel, Leiterin „Quantencomputing Europe“ beim amerikanischen IT-Riesen IBM. „Ich freue mich, hier in Siegen zu sein, wo an der Universität sehr intensiv im Bereich des Quantencomputing geforscht wird und wo erfolgreiche Start-Ups wie eleQtron gegründet werden“, sagte Riel. Anschließend erläuterte sie, wie Quantencomputer die besonderen Eigenschaften von Quanten nutzen, um zu höheren Rechenleistungen zu kommen als bis dato die stärksten Hochleistungsrechner. „Mit Q-Bits lassen sich theoretisch mehr Basiszustände generieren, als Atome im Universum existieren“, erklärte Riel. „Wenn wir lernen, Q-Bits zu beherrschen, können wir damit in Zukunft Probleme lösen, die unsere heutigen Superrechner nicht schaffen.“ Welchen Ansatz IBM dabei verfolgt und wie dort der aktuelle Entwicklungsstand in Sachen Quantencomputing ist, erfuhr das Publikum in ihrem spannenden Vortrag. Im Anschluss hatten die Zuhörer:innen in einer von Uni-Kanzler Ulf Richter moderierten Fragerunde noch die Gelegenheit, mit der Expertin ins Gespräch zu kommen.

Für Unterhaltung sorgten zwei weitere musikalische Einlagen: Teilchenphysikerin Eleftheria Malami (Gesang) und der Physik-Student und ausgebildete Pianist Alexander Breitenbach präsentierten „Set fire to the rain“ von Adele, das Lenz kurzerhand zu einem „Quantencomputing-Lied“ erklärte („Der Versuch, Quanten zu beherrschen ist ungefähr so verrückt, wie den Regen anzuzünden.“). Das große Finale bildete „Nothing Else Matters“ von Metallica mit Alexander Breitenbach am Piano, dem Siegener Physik-Professor und Entwickler des ersten deutschen Quantencomputers, Christof Wunderlich an der Gitarre und dem Dekan der Naturwissenschaftlich-Technischen Fakultät der Universität Siegen, Prof. Dr. Holger Schönherr an der E-Gitarre. Prof. Lenz und Dr. Marion Lenz präsentierten dazu noch einmal ihr akrobatisches Können. Belohnt wurde die Performance von den rund 500 Gästen im Apollo-Theater mit Standing Ovations.

Im Theater-Foyer hatten Interessierte schon ab dem Nachmittag die Gelegenheit, sich an zahlreichen Ständen über die Forschungsschwerpunkte und Studiengänge des Siegener Physik-Departments zu informieren.

Zusammen mit seiner Familie bildet Physik-Professor Dr. Alexander Lenz die Akrobatikformation „formafortis“.

Aktualisiert um 13:51 am 16. April 2024 von Thomas Reppel

Physik im Apollo – Quantenphysik und Quantencomputing

In der zweiten Edition von Physik im Apollo konnte Frau Dr. Heike Riel (Leiterin Quantencomputing Europe bei IBM) als Hauptrednerin für das Thema „Quantencomputing“  gewonnen werden. Die Gesetze, die in der Quantenwelt herrschen, widersprechen oft unserer Alltagserfahrung und erscheinen daher sehr unverständlich. Auf der anderen Seite wurden sie durch unzählige Experimente im Mikrokosmos belegt. Lange Zeit waren diese Gesetze, die vor knapp 100 Jahren entdeckt wurden, reinste Grundlagenforschung, fernab von jeglicher praktischer Anwendung. In jüngeren Jahren zeichnet sich jedoch eine praktische Anwendung ab, die die Computerentwicklung revolutionieren könnte. Frau Dr. Riel wird in das Thema „Quantencomputing“ einführen und auch den aktuellsten Stand hiervon vorstellen, welcher auch den Siegener Quantencomputer enthält.

Das künstlerische Rahmenprogramm wird gestaltet von: 

  • Alexander Breitenbach – Physikstudent an der Uni Siegen (Piano)
  • Eleftheria Malamie – Theoretische Teilchenphysikerin an der Uni Siegen (Gesang)
  • Dr. Marion Lenz – Fachärztin für Physikalische Medizin und Rehabilitation am Marienklinikum (Akrobatik)
  • Leon Lenz – Informatikstudent an der Uni Siegen und Werkstudent be eleQtron (Akrobatik)
  • Kilian Lenz – Schüler am Gymnasium Am Löhrtor (Akrobatik) 
  • Prof. Dr. Alexander Lenz – Professor und Doktor der Theoretischen Teilchenphysik an der Uni Siegen (Akrobatik)
  • Prof. Dr. Christof Wunderlich – Erbauer des ersten deutschen Quantencomputers an der Uni Siegen und Mitbegründer von eleQtron (E-Gitarre)
  • Prof. Dr. Holger Schönherr – Dekan der naturwissenschaftlichen Fakultät an der Uni Siegen und Professor für physikalische Chemie (E-Gitarre)

»Physik muss nicht schwer verständlich sein. Anschaulich präsentiert und mit künstlerischen Einlagen, die ins jeweilige Themenfeld passen, garniert, verspricht dieser Abend aktuelle Grundlagenforschung, die alle verstehen.«

Es sind evtl. noch Restkarten an der Abendkasse erhältlich. Weitere Informationen unter: https://www.apollosiegen.de/spielplan/714-physik-im-apollo/

Aktualisiert um 15:07 am 11. April 2024 von Thomas Reppel

Quantenflüssigkeit läuft „bergauf“

Ein internationales Team von Physiker:innen hat in einem Artikel in Nature Physics über ihre Forschungen zu Polaritonen und die überraschenden Eigenschaften von einer Quantenflüssigkeit berichtet. Beteiligt ist auch die Physik der Universität Siegen.

Bei der Betrachtung winzigster Strukturen in der Nanotechnologie können immer wieder überraschende Effekte auf atomarer und molekularer Ebene beobachtet werden. Dr. Chau Nguyen, Physiker an der Universität Siegen hat, gemeinsam mit Forscher:innen aus Italien, Island, Polen, Frankreich und den USA, eine Quantenflüssigkeit untersucht und dabei festgestellt, dass diese eine außergewöhnliche Eigenschaft hat. Sie bewegt sich „bergauf“. Die Forschungsergebnisse veröffentlichte die Gruppe in der renommierten Fachzeitschrift Nature Physics.

Eine Quantenflüssigkeit entsteht durch das Zusammentreffen von Bosonen. „Wenn mehrere Teilchen ohne irgendwelche Kräfte auf unterschiedlichen Plätzen sind, sind sie unabhängig voneinander“, erklärt Dr. Chau Nguyen aus der Arbeitsgruppe „Theoretische Quantenoptik” von Prof. Dr. Ottfried Gühne. „Das erscheint natürlich, wie sollte es auch sonst sein? Die Quantenmechanik erzählt aber eine andere Geschichte, die vor genau einhundert Jahren vom indischen Physiker Satyendra Nath Bose und Albert Einstein geschrieben wurde.“ In der Quantenmechanik, so Nguyen, gibt es bestimmte Teilchen, eben jene Bosonen, die an einem Platz zusammenkommen, ohne direkte Kräfte zu benötigen. Sie sammeln sich, wenn genügend Teilchen zufällig an einer Stelle zusammenstoßen. „So bildet sich eine sogenannte Quantenflüssigkeit“, erklärt Dr. Nguyen. „Diesen Prozess nennt man Bose-Einstein-Kondensation.“ Dieses Phänomen kann zum Beispiel auftreten, wenn hochkonzentriertes Licht auf eine dünne Schicht eines Halbleiters trifft. Dann bilden sich Polaritonen, die eine Quantenflüssigkeit bilden. Diesen Effekt kann man manchmal sogar mit einer guten Kamera sehen.

Was die Physiker nun herausgefunden haben: eine Quantenflüssigkeit verhält sich wie ein Teilchen mit negativer Masse und will deshalb bergauf auf den Gipfel eines Potenzials klettern. Das ermöglicht es, sie mit starken Lasern, die wie Potenzial-Gipfel sind, zu „fangen“.

Ferner kann die Quantenflüssigkeit der Polaritonen von Gipfel zu Gipfel tunneln, ähnlich wie Elektronen zwischen den Atomen eines Moleküls. Damit fanden die Forscher:innen eine Methode, um Moleküle zu simulieren, was neue Anwendungen in der Chemie ermöglicht.

Dr. Nguyen, der an dieser Entdeckung mitgewirkt hat, erklärt: „Wir waren sehr verwundert über die Daten, die die Experimentatoren uns in einer Sitzung zeigten. In einem langen Arbeitsprozess gelang es uns, ein theoretisches Modell dafür zu skizzieren. Es war dann sehr beeindruckend, als wir auf dem Computer sahen, dass die Ergebnisse unserer Rechnung genau die experimentellen Daten der seltsamen Quantenflüssigkeit beschrieben.”

Der komplette Artikel in Nature Physics finden Sie hier.

Laserstrahlen bilden Potenzialgipfel für eine Quantenflüssigkeit aus Polaritonen. Damit können effektiv Moleküle erstellt werden.

Aktualisiert um 6:00 am 10. April 2024 von Thomas Reppel

Preisverleihungen beim Bautag

Neben dem fachlichen Austausch zum Thema „Urban Mining“ bot der Bautag an der Universität Siegen auch die Gelegenheit, herausragende Absolventinnen und Absolventen des Bauingenieurwesens mit Förderpreisen zu ehren.

Urban Mining bedeutet so viel wie „Bergbau in der Stadt“. Diese Form einer kreislaufgerechten Bauwirtschaft durch (Wieder-)Nutzung von Rohstoffen war Thema des diesjährigen Bautags an der Universität Siegen. Der Bautag bringt regelmäßig Mitglieder aus der Baubranche und von der Universität Siegen sowie interessierte Studierende zusammen. Die Veranstaltung ist nicht nur ein Forum für den Austausch und Diskussionen über Innovationen und interessante Verfahren in der Bauindustrie und Architektur, sondern auch eine Plattform zur Anerkennung herausragender akademischer Leistungen im Bereich Bauingenieurwesen.

Vom Förderverein Architektur und Bauingenieurwesen an der Universität Siegen wurde der Förderpreis für die besten Abschlussarbeiten im vergangenen Jahr 2023 verliehen. Der Preis würdigt das Engagement und das Potenzial der vielversprechendsten Studierenden und Doktoranden in diesem Fachgebiet. Die Preisträgerinnen und Preisträger nahmen die Auszeichnungen vom 2. Vorsitzenden des Fördervereins, Dietmar Winkel, entgegen.

Die Preisträger 2023 sind bei den Bachelorabschlüssen Leonie Müller und Nick Steinhanses und bei den Masterabschlüssen Florian Blechinger und Christopher Nies. Für ihre Promotionen wurden Marius Mellmann und Zhengyang Li ausgezeichnet.

Neben der Urkunde erhielten alle Preisträger*innen einen Geldpreis zur Unterstützung ihrer weiteren wissenschaftlichen Arbeit.

Im Bild (von links): Leonie Müller, Nick Steinhanses, Florian Blechinger, Christopher Nies.

Aktualisiert um 7:00 am 9. April 2024 von Thomas Reppel

Glückwunsch zum 90. Geburtstag

Prof. em. Dr. Heinz Dieter Lutz, Gründungsvater der Chemie an der Universität Siegen, feierte im Kreise ehemaliger Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Prof. em. Dr. Heinz Dieter Lutz, renommierter Chemieprofessor und Doktorvater vieler erfolgreicher Absolventinnen und Absolventen der Universität Siegen, wurde am 16. März 90 Jahre alt.

Lutz begann sein Chemiestudium 1953 an der Universität zu Köln und promovierte dort 1962. Schon fünf Jahre später folgte die Habilitation zum Thema „Chemische Reaktionen in festen Stoffen“. In diese Zeit fiel der Startschuss zum weltweit großen Interesse an Festkörpern, die Prof. Lutz sein weiteres wissenschaftliches Leben lang begleiten und faszinieren sollten.

1972 wurde Prof. Lutz in den Gründungssenat der neuen Universität-Gesamthochschule Siegen und auf eine Professur für Anorganische Chemie berufen. In den Folgejahren stand der Aufbau des Chemiestudiengangs und die Berufung weiterer Professoren an. Der Fachbereich Chemie startete sehr erfolgreich. Die sogenannten geburtenstarken Jahrgänge brachten in den 80er Jahren bis zu 100 Studienanfängerinnen und -anfänger in die Chemie. Eine beachtliche Zahl für den recht kleinen Fachbereich. Neben seinen vielen Ämtern als Dekan, im Senat oder Konvent während seiner aktiven Zeit an der Universität Siegen, ist Prof. Lutz‘ Engagement als Doktorvater hervorzuheben. So hat er rund 50 Studentinnen und Studenten auf dem Weg zur Promotion begleitet.

Dass die Zeit mit ihrem Doktorvater durchweg positive Erinnerungen hervorruft, zeigte sich an der großen Zahl von Ehemaligen, die einer Einladung zu dessen 90. Geburtstag gefolgt sind. Obwohl Prof. Lutz schon 1999 in den verdienten Ruhestand ging und vor acht Jahren das geliebte Siegerland verlassen hat, waren sehr viele der früheren Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in seine neue Heimat nach Bensheim gereist, um Glückwünsche zu überbringen. Dabei waren die ältesten Gratulanten auch schon 80 Jahre alt und ehemalige Mitarbeiter von Prof. Lutz aus seiner Kölner Zeit. Die Feier war geprägt von vielen lustigen Anekdoten, aber auch von ernsten Gesprächen über die Entwicklungen in der Wissenschaft und im Leben jedes Einzelnen. Es war den Ehemaligen anzumerken, wie sehr sie ihren früheren Chef wegen seiner wissenschaftlichen Kompetenz und der familiären Atmosphäre in der Arbeitsgruppe noch immer sehr schätzen. Sichtlich bewegt, bedankte sich Prof. Lutz mit seiner Gattin bei den vielen Gratulanten, wohl wissend, dass das für alle Anwesenden ein ganz besonderer Tag war.

Chemieprofessor Dr. Heinz Dieter Lutz feierte seinen 90. Geburtstag mit ehemaligen Studierenden und Mitarbeiter:innen.  Foto:  Dr. Stefan Haider

Aktualisiert um 6:00 am 9. April 2024 von Thomas Reppel

Ein Quanten-Supercomputer made in NRW

Das Forschungszentrum Jülich und das Siegener Start-up eleQtron, eine Ausgründung der Universität Siegen, bauen im Projekt EPIQ gemeinsam einen einzigartigen Superrechner. Das Land NRW investiert dafür 21 Millionen Euro.

Das Jülich Supercomputing Centre (JSC) am Forschungszentrum Jülich und das Siegener Start-up eleQtron bauen gemeinsam einen weltweit einzigartigen modularen Superrechner, der aus einem Quantenmodul und einem klassischen digitalen Modul besteht. Der Name des Projekts ist „Entwicklungspartnerschaft Ionenfallen-Quantencomputer in NRW“, oder kurz EPIQ. eleQtron entwickelt dafür einen Ionenfallen-Quantencomputer, dessen Qubits mit Hilfe einer revolutionären Mikrowellen-Steuerung rechnen, welche an der Universität Siegen erfunden wurde. Ermöglicht wird das Projekt durch die am Forschungszentrum entwickelte dynamische modulare Integrationstechnologie. Das Ministerium für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen fördert EPIQ, das aus dem Netzwerk „EIN Quantum NRW“ entstanden ist, für eine Laufzeit von 4,5 Jahren mit etwa 21 Millionen Euro.

Am 25. März stellten das Forschungszentrum Jülich und eleQtron die strategische Partnerschaft im Beisein von Ministerpräsident Hendrik Wüst und Wissenschaftsministerin Ina Brandes in Siegen vor. Uni-Rektorin Prof. Dr. Stefanie Reese nahm ebenso wie Siegens Bürgermeister Steffen Mues und Prof. Dr. Christof Wunderlich, Co-Founder von eleQtron und Inhaber des Lehrstuhls für Experimentelle Quantenoptik an der Universität Siegen vor, teil. 

In der EPIQ Entwicklungspartnerschaft soll ab Ende 2024 das eleQtron Quantencomputer-Pilotsystem mit bis zu 30 Ionenfallen-Qubits aufgebaut werden, das anschließend in die Jülicher Nutzer-Infrastruktur für Quantencomputing JUNIQ integriert wird. Ab 2025 steht es laut Plan dann Anwenderinnen und Anwendern zur Verfügung – im hybriden High-Performance- und Quantencomputing (HPC-QC) Modus.

Hendrik Wüst, Ministerpräsident des Landes Nordrhein-Westfalen: „Nordrhein-Westfalen bietet mit seiner starken Wirtschaft die besten Voraussetzungen für die Erforschung von technologischen Innovationen. Wir wollen die bedeutende Stellung beim Quantencomputing weiter ausbauen und unser Land zum Technologieführer bei Quantentechnologien machen. Die Entwicklungspartnerschaft zwischen eleQtron und dem Forschungszentrum Jülich ist hierfür ein wichtiger Schritt. Mit ihr soll bis 2027 ein Quantencomputer – entwickelt und hergestellt von Forscherinnen und Forschern aus unserem Land – zur Serienreife weiterentwickelt werden. Dieses zukunftsweisende Projekt wird maßgeblich dazu beitragen, dass unser Land weiterhin an der Spitze von Forschung und Innovation steht. Nordrhein-Westfalen ist die deutsche Zukunftsregion für die Digitalisierung.“

Ina Brandes, Ministerin für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen (MKW NRW): „Rechenleistung wird in Zukunft der entscheidende Schlüssel sein, die großen Herausforderungen der Menschheit zu meistern. Das gilt für den Kampf gegen die Volkskrankheiten genauso wie für intelligente Mobilität und ressourcenschonende Nutzung von Energie. Quantencomputing ‚made in NRW‘ gehört international zur Spitze. Das verdanken wir der beispielhaften Erfolgsgeschichte der Universität Siegen, ihrer Ausgründung mit eleQtron und der engen Zusammenarbeit mit dem Forschungszentrum Jülich: ein echtes Leuchtturm-Projekt für den Wissenschaftsstandort Nordrhein-Westfalen.“

Prof. Astrid Lambrecht, Vorstandsvorsitzende des Forschungszentrums Jülich: „Gemeinsam mit einem Start-up aus der Region einen Quantencomputer zu entwickeln und zur Anwendung zu bringen, zeigt die Leistungsfähigkeit des Hochtechnologiestandorts NRW in Europa und die Effektivität des Netzwerks ‚EIN Quantum NRW‘. Über die Jülicher Nutzerinfrastruktur für Quantencomputing ist das System offen zugänglich für Nutzer aus Wissenschaft und Industrie. Davon profitieren Hochschulen, und wir fördern den Transfer von Quantentechnologien in die Industrie in NRW. Neben dem Zugang zu Quantencomputing ist auch die fachliche Unterstützung ein entscheidender Baustein. Damit tragen wir dazu bei, die agile Quantencomputing Community in Nordrhein-Westfalen zu stärken.“

„Die Integration des eleQtron-Systems kann bereits heute vom breiten Nutzerportfolio der JUNIQ-Plattform profitieren“, erklärt Projektleiterin Kristel Michielsen. „JUNIQ bietet dabei die einzigartige Möglichkeit, verschiedene Quantencomputersysteme und Konzepte auf einer Plattform miteinander zu vergleichen. Der eleQtron-Quantencomputer wird als Referenz für die Einordnung anderer Systeme dienen.“

In einem zweiten Schritt wird das Pilotsystem zum serienreifen gatterbasierten Quantencomputer mit bis zu 60 Qubits entwickelt, in die HPC-Systeme des JSC integriert, und wird ab 2026 in JUNIQ im hybriden Modus eingesetzt. Gatterbasierte Quantencomputer verwenden – daher der Name – eine Folge von Quantengattern, um den Zustand von Qubits zu manipulieren und so Quantenberechnungen durchzuführen. Sie lassen sich für ein breiteres Spektrum an Problemen einsetzen als Quanten-Annealer und sind somit vielseitiger. Das System ist der erste gatterbasierte Quantencomputer, der am Standort Forschungszentrum Jülich in den wissenschaftlichen Anwendungsbetrieb gehen wird.

Anwendungsfelder des Systems werden zum einen Optimierungsaufgaben sein, in unterschiedlichen industriellen Bereichen wie Logistik, Verkehrsoptimierung und Verfahrenstechnik. In den Grundlagenwissenschaften Physik und Chemie, Biologie und Medizin sowie Materialforschung findet der Quantenrechner ebenfalls Anwendung. Vielversprechende Einsatzfelder sind darüber hinaus auch Maschinelles Lernen und Training von Modellen der Künstlichen Intelligenz.

Im Zusammenspiel zwischen den traditionellen digitalen Hochleistungsrechnern und den aufkommenden Quantencomputern wird global ein erhebliches Innovationspotenzial gesehen. „Das Jülich Supercomputing Centre ist zusammen mit dem Münchner Unternehmen ParTec Vorreiter im vernetzten Betrieb unterschiedlicher Höchstleistungs-Rechensysteme“, erklärt Thomas Lippert, Leiter des JSC. „Wir sind führend in der Entwicklung von modularen Integrationstechnologien, die für die Kopplung zukünftiger Quantencomputer benötigt werden, und wir entwickeln hybride Quanten-HPC-Algorithmen.“

Siegener Alleinstellungsmerkmal: Ionen wie an einer Perlenkette

Partner von Jülich ist das Start-up eleQtron. Die Siegener Firma ist weltweit führend im Design von Quantencomputern auf Ionenfallen-Basis. Bei dieser Art von Quantenrechnern bestehen die Qubits aus Ionen in Ionenfallen. „Dabei werden einzelne Ionen durch elektromagnetische Felder im Vakuum wie an einer Perlenkette aufgereiht“, erklärt Jan Leisse, Mitgründer und CEO von eleQtron. „Sie sind vollständig gekoppelt – also wechselwirken alle miteinander – und können über unsere einzigartige Mikrowellensteuerung kontrolliert werden.“ Anders als supraleitende Qubits müssen Ionenfallen nicht so stark gekühlt werden. Das macht es einfacher, auch größere Quantenprozessoren mit sehr vielen Qubits auf der nötigen Temperatur zu halten.

Weitere Informationen finden Sie auf der Projektwebsite EPIQ.

Hintergrund

eleQtron ist 2020 als Spin-off aus der Forschungsgruppe vom Lehrstuhl für Quantenoptik der Universität Siegen entstanden und mittlerweile zu einem Start-up aus internationalen Experten gewachsen. Die Gründer sind Prof. Christof Wunderlich, Dr. Michael Johanning und Jan Leisse. Die Quantentechnologie ist eine der großen Zukunftstechnologien weltweit. Bis zum Ende des Jahrzehnts verspricht sie, viele Bereiche unseres Alltags zu revolutionieren – vom Finanzwesen, über die Logistik bis hin zur Medizin. In Nordrhein-Westfalen wurde im März 2022 das Netzwerk „EIN Quantum NRW“ gegründet, um das Bundesland als „Hotspot“ der Quantenforschung zu positionieren.

Quantencomputer nutzen die besonderen Eigenschaften kleinster Teilchen (Quanten), um zu höheren Rechenleistungen zu kommen, als es bis dato die stärksten Hochleistungsrechner schaffen. So haben Quanten die Eigenschaft, dass sie sich gleichzeitig in zwei verschiedenen Zuständen befinden können. Während klassische Computer mit einem binären System aus Nullen und Einsen arbeiten, ist bei Quantenrechnern eine Überlagerung von Nullen und Einsen möglich, was die Rechenleistung enorm beschleunigt. Prof. Wunderlich und seine Siegener Arbeitsgruppe haben dabei einen Ansatz entwickelt, der ionisierte Atome als Informationsspeicher nutzt. Sie werden in einer so genannten „Ionen-Falle“ gefangen und mittels Hochfrequenz-Technik gesteuert.

Copyright / Fotos (2): Mark Hermenau Photography

Aktualisiert um 7:36 am 8. April 2024 von Thomas Reppel

Siegener Physiker an neuem CERN-Experiment beteiligt

Am Genfer CERN wird ein neuer Detektor zur Suche nach bisher unbekannten Teilchen oder Kräften gebaut. Die Vorbereitungen für das so genannte SHIP-Experiment laufen bereits seit zehn Jahren. Auch Physiker*innen der Universität Siegen sind daran beteiligt.

Das Genfer CERN (Europäische Organisation für Kernforschung) ist eines der größten und renommiertesten Zentren für physikalische Grundlagenforschung. Wissenschaftler*innen aus aller Welt untersuchen hier gemeinsam die fundamentalen Gesetze des Universums. Dabei nutzen sie die weltweit größten und komplexesten Geräte, um die kleinsten Bauteile der Welt zu erforschen – die Elementarteilchen. Nach knapp zehn Jahren Vorbereitung wurde am CERN jetzt die Genehmigung für ein neues Experiment erteilt: Im Rahmen des SHIP-Experiments (SHIP = Search for Hidden Particles) soll ein Detektor gebaut werden, der ganz neue Möglichkeiten eröffnet, bisher unbekannte Teilchen oder Kräfte zu finden. Auch Physikerinnen und Physiker der Universität Siegen sind an dem Experiment beteiligt, ihre Arbeit wird von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.

„Wir Teilchenphysiker stehen vor einem Dilemma: Mit dem Higgs-Boson haben wir inzwischen alle Teilchen beobachtet, die im Standardmodell der Teilchenphysik vorhergesagt werden. Gleichzeitig ist klar, dass dieses Modell nicht die endgültige Theorie sein kann, da es bestimmte Phänomene wie zum Beispiel die Dunkle Materie nicht erklärt“, sagt der Siegener Teilchenphysiker Prof. Dr. Markus Cristinziani. Für ihn und seine Kolleg*innen steht deshalb fest, dass es noch weitere, bisher unbekannte Teilchen oder Wechselwirkungen geben muss, um bestimmte Phänomene des Universums zu erklären. Das SHIP-Experiment soll den Wissenschaftler*innen nun neue Möglichkeiten eröffnen, solche Teilchen aufzuspüren.

Geplant ist, einen Detektor zu bauen, bei dem ein sehr intensiver Protonenstrahl auf ein bestimmtes Ziel gerichtet wird, um damit neue Teilchen zu entdecken. Dies soll jedoch bei deutlich geringeren Energien geschehen, als beispielsweise beim weltweit leistungsstärkten Teilchenbeschleuniger „Large Hadron Collider“. So hoffen die Physikerinnen und Physiker, eine besondere Art von Teilchen zu finden, die sich durch extrem schwache Wechselwirkungen auszeichnen. „Wir haben bisher mit riesigen Detektoren nach neuen Teilchen und Wechselwirkungen bei den höchstmöglichen Energien gesucht. Möglicherweise sind uns dabei sehr schwach wechselwirkende Teilchen quasi durch die Lappen gegangen“, erklärt Prof. Cristinziani. Diese Lücke soll das SHIP-Experiment nun schließen.

Cristinziani und sein Team sind bereits seit 2017 bei den vorbereitenden Arbeiten zu SHIP dabei. Am Siegener Lehrstuhl für Teilchen- und Astroteilchenphysik wurde bereits eine Promotion zu dem neuen Experiment sehr erfolgreich abgeschlossen. „Ich freue mich riesig, dass der Bau des Detektors am CERN nun starten kann“, sagt Cristinziani, der darin eine große Chance für die Forschung sieht: „SHIP hat Entdeckungspotenzial für die wichtigsten Beobachtungsrätsel der modernen Teilchenphysik und Kosmologie.“

Hintergrund:
Im Jahr 2027 soll am Genfer CERN mit dem Bau des SHIP-Experiments begonnen werden. SHIP ist eine Kollaboration aus über 50 Universitäten und Forschungsinstituten aus mehr als 18 Ländern. Die Siegener Forschung an dem Experiment wird durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) gefördert.

Kontakt:
Prof. Dr. Markus Cristinziani (Lehrstuhl für Teilchen- und Astroteilchenphysik der Universität Siegen)
Tel.: 0271 740-3629
E-Mail: markus.cristinziani@physik.uni-siegen.de

Im Rahmen des SHIP-Experiments soll am Genfer CERN ein neuer Detektor entstehen, mit dem insbesondere schwach wechselwirkende Teilchen aufgespürt werden können.

Aktualisiert um 7:16 am 8. April 2024 von Thomas Reppel

Neue Simulationen bei Verformung und Materialbruch

Doppelter Erfolg: Die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) fördert zwei Forschungsprojekte des Siegener Forschers Prof. Dr. Hesch in der Numerischen Mechanik mit über 700.000 Euro.

Gleich zwei neue Forschungsprojekte von Prof. Dr. Christian Hesch vom Lehrstuhl Numerische Mechanik an der Universität Siegen wurden von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) bewilligt. Die Förderung beträgt jeweils 353.000 Euro für das Forschungsvorhaben zu „Kontakt Mechanik für Gradientenmaterialien“ und das Forschungsvorhaben „Numerische Raum-Zeit Anwendungen“. Die Numerische Mechanik leistet anwendungsorientierte Grundlagenforschung, die interdisziplinäre Simulationswissenschaften, Modellierung und Numerik miteinander verzahnt.

m ersten Projekt beschäftigen sich Prof. Hesch und sein Team mit den neuesten Entwicklungen in der Kontaktmechanik. Es geht um Materialien mit Gradienteneffekten, inneren Drehmomenten wie sie in Faserverbundwerkstoffen vorkommen. Im Fokus stehen dabei Fragen zur Kontakt- und Bruchmechanik dieser Materialien. „Wir entwickeln in den Projekten neue numerische Verfahren zur Simulation dieser Materialien und untersuchen deren Mikro- und Makrobruchverhalten sowie deren Auswirkung auf die Randbereiche, wenn zum Beispiel mehrere Bauteile aus diesen Materialien zusammengefügt und damit in Kontakt zueinander kommen“, erklärt Prof. Hesch.

Beim zweiten Projekt zu „Numerischen Raum-Zeit Anwendungen“ geht es an die Grundlagen der Mechanik. „Wir betrachten die komplette Raumzeit-Struktur und entwickeln numerische Verfahren um eine gesamte, betrachtete Bewegung auf einmal zu berechnen, was die Berechnungszeiten drastisch reduziert“, erklärt Prof. Hesch. Aktuelle Verfahren auf Basis von Zeitschritten, die einen Informationstransfer in die Vergangenheit verhindern, sind sehr ineffizient auf modernen Rechnerarchitekturen und benötigen damit unnötig viel Energie. Zudem lassen sich viele Probleme z.B. für eine (energetisch) optimale Steuerung mit Zeitschrittverfahren nur extrem aufwendig oder gar nicht lösen, was in Raumzeit-Verfahren sehr einfach zu lösen ist.

Beide Forschungsprojekte haben eine Laufzeit von drei Jahren und können in einer weiteren Antragsrunde verlängert werden. 

Prof. Dr. Christian Hesch vom Lehrstuhl Numerische Mechanik. 

Aktualisiert um 7:06 am 8. April 2024 von Thomas Reppel