KI-Tool soll Schüler*innen bei Matheaufgaben helfen
Nächste Woche heißt es in allen Schulen in NRW: Zeugnistag. Für Schüler*innen, die bis zuletzt um ihre Mathenote zittern müssen, entwickelt ein Forschungsteam der Universität Siegen ein KI-Tool. Es soll mithilfe von Künstlicher Intelligenz bei Mathehausaufgaben und im Matheunterricht unterstützen.
Das neue KI-Tool wird speziell für Schüler*innen in der Sekundarstufe I (5. bis 10. Klasse) konzipiert, die Hilfe in Mathe brauchen – inklusive personalisiertem Feedback und intuitiver Anwendung. Dafür arbeitet Projektleiter Jun.-Prof. Dr. Daniel Thurm, Mathematik-Didaktiker von der Uni Siegen, mit einem Softwareunternehmen aus Köln und einer Machine-Learning-Firma aus Baden-Württemberg zusammen. Insgesamt wird das Projekt „Assist-Me“ mit 1,5 Mio. Euro gefördert. „Die Förderung unterstreicht die Vorreiterrolle der Universität Siegen im Bereich der KI-gestützten Bildung und stärkt unsere Position in diesem zukunftsweisenden Themenfeld“, so Thurm.
Aktuell nutzen Schüler*innen für Hausaufgaben die üblichen KI-Tools, wie ChatGPT oder Gemini, weil sie leicht zugänglich sind. Das kann so aussehen: Hakt es bei einer Mathematik-Aufgabe, können die Schüler*innen eine Frage stellen oder den Stand ihrer bisherigen Rechnungen mitteilen. Das System antwortet daraufhin meistens sehr textlastig und ausführlich, zeigt Lösungswege bis zum Endergebnis, manchmal auch fehlerhaft. Hilfreiche, verstehensfördernde Visualisierungen werden fast gar nicht einbezogen.
Hier lauern laut Thurm einige mögliche Fallstricke. „In unseren Vorab-Studien haben wir herausgefunden, dass viele Schüler*innen gar nicht wissen, was sie fragen sollen oder wie sie die Frage formulieren müssen, um eine hilfreiche Antwort zu erhalten“, sagt der Mathematikdidaktik-Professor. Außerdem sei es fachdidaktisch nicht sinnvoll, den kompletten Lösungsweg inklusive der Lösung direkt auf dem Silbertablett serviert zu bekommen – Schüler*innen sollten vielmehr selbst aktiv den Lösungsprozess vollziehen. Hinzu komme, dass die meisten Schüler*innen die langen Texte nicht lesen würden. „Das heißt, man kennt jetzt zwar die Lösung, versteht aber vermutlich immer noch nicht, wie man dorthin kommt“, erklärt Thurm.
KI gibt Impulse statt fertiger Lösungen
Bei all diesen Fallstricken setzt nun das Projekt Assist-Me an. Ziel ist es, ein KI-gestütztes Tool zu entwickeln, das nicht nur Lösungen liefert, sondern Schüler*innen gezielt durch den Denkprozess begleitet. Es soll Impulse geben, die helfen, die Aufgabe besser zu verstehen und eigenständig auf die Lösung zu kommen. Dafür setzt das Team nicht ausschließlich auf Large-Language-Models (wie ChatGPT), sondern kombiniert gezielt verschiedene KI-Ansätze und verknüpft sie mit einer speziell entwickelten mathematikdidaktischen Wissensbasis.
Über die Handy- oder Tablet-Kamera können die Schüler*innen ihre Aufgabe und den aktuellen Bearbeitungsstand einlesen. Ein Einfaches „Ich komme hier nicht weiter, kannst du mir bitte helfen?“ oder „Ich habe eine Lösung – stimmt sie?“ reicht aus, damit das Tool aktiv wird. Es analysiert, ob ein Rechenfehler oder falsches Teilergebnis vorliegt, und startet dann die Kommunikation.
Um die Hilfen anschaulicher zu gestalten, wird das Tool mit interaktiven Visualisierungen verknüpft. So können Hilfen zur Bruchrechnung beispielsweise durch Tortenstücke veranschaulicht werden. Statt nur eine textliche Erklärung zu lesen, markieren oder verschieben die Schüler*innen selbst die entsprechenden Tortenstücke, um Anteile richtig zuzuordnen. „Diese aktive Auseinandersetzung mit der Aufgabe fördert das Verständnis und sorgt gleichzeitig dafür, dass die Interaktionen prägnanter und weniger textlastig sind als bei ChatGPT oder ähnlichen Systemen“, erklärt Thurm.
Lehrkräfte bleiben im Mittelpunkt
Neben der technischen Entwicklung spielt auch die Forschung zur Nutzung eine zentrale Rolle. In begleitenden Studien soll untersucht werden, wie Schüler*innen mit dem Tool interagieren, welche individuellen Lernwege sie einschlagen und welche Hürden auftreten.
„Das Tool, das wir im Projekt Assist-Me entwickeln wollen, wird kein Lerntool sein“, betont Thurm. „Es bringt den Schüler*innen keine neuen Inhalte bei.“ Den Entwicklern ist es besonders wichtig, dass sie Lehrkräfte nicht ersetzen wollen. Thurm sieht vor allem zwei Einsatzmöglichkeiten: Zum einen soll das Tool Lehrer*innen im Unterricht unterstützen. „Es ist eine Tatsache, dass Lehrkräfte nur begrenzte Ressourcen für individuelle Unterstützung im Unterricht haben“, sagt der Mathematikdidaktiker. Zum anderen soll das Tool Schüler*innen bei den Hausaufgaben helfen. Besonders in Fällen, in denen Eltern keine Nachhilfe finanzieren können oder nicht in der Lage sind, bei Mathe-Hausaufgaben zu helfen, biete sich hier eine Chance für mehr Chancengleichheit. Das sei auch deshalb wichtig, weil Bildungsstudien zeigen, dass im Fach Mathematik 30 Prozent der 15-jährigen Schüler*innen die Mindestanforderungen nicht erreichen – mit steigender Tendenz.
Flexibel einsetzbar – unabhängig von Schulbüchern
Das KI-Tool ist nicht an einzelne Schulbücher oder Verlage gebunden. Es soll so konzipiert werden, dass es für Aufgaben aus allen Kernthemen der Sekundarstufe I – darunter Prozentrechnung, Wahrscheinlichkeitsrechnung, Geometrie und Algebra – eingesetzt werden kann. Insbesondere soll es flexibel auch für Aufgaben genutzt werden, die Lehrkräfte selbst erstellt oder individuell angepasst haben.
Das Projekt startet im Juni 2025 und läuft für drei Jahre im Rahmen des Innovationswettbewerbs „NEXT.IN.NRW“. Bereits Ende 2025 wollen die Forscher*innen einen ersten Prototyp an ausgewählten Schulen in der Region testen. Der Förderanteil für die Universität Siegen beträgt 600.000 Euro. Mittelfristig ist auch eine Ausgründung denkbar, um das Tool weiterzuentwickeln und langfristig für Schulen verfügbar zu machen.
Weitere Informationen zum Innovationswettbewerb
Aktualisiert um 8:02 am 3. Februar 2025 von Thomas Reppel.