Auf dem Weg zum „Quanteninternet“
Die Physikerin Kiara Hansenne von der Uni Siegen hat eine neue Methode zur Analyse von Quantennetzwerken entwickelt. Netzwerke, die Quanteneigenschaften zur sicheren Informationsübertragung nutzen, sind Grundlage der Vision eines „Quanteninternets“.
Ein Internet, in dem Hackerangriffe oder Daten-Leaks nicht möglich sind und eine abhörsichere Kommunikation garantiert werden kann: Was aktuell noch ein ferner Zukunftstraum ist, könnte dank moderner Quantentechnologie eines Tages Wirklichkeit werden. Schon heute ermöglicht die so genannte „Quantenverschränkung“ eine physikalisch sichere Informationsübertragung. Um diese auch in komplizierten (Kommunikations-)Netzwerken nutzen zu können, ist eine genaue Kenntnis der Eigenschaften dieser Netzwerke erforderlich. Die Siegener Physikerin Kiara Hansenne hat zusammen mit Kollegen eine Methode entwickelt, um Quantennetzwerke genauer zu untersuchen. Ihre Erkenntnisse wurden jetzt in der renommierten Fachzeitschrift „Nature Communications“ veröffentlicht.
„Eine Besonderheit in der Quantenphysik ist, dass zwei Teilchen an verschiedenen Orten in einem Zustand sein können, in dem sie nur gemeinsam beschrieben werden können“, erklärt Kiara Hansenne das Prinzip der Quantenverschränkung. Solche verschränkten Lichtteilchen ergänzen sich immer in ihren Eigenschaften, unabhängig davon, wie weit sie voneinander entfernt sind. Misst man eines der Teilchen, so kennt man automatisch auch den Zustand des anderen. „Diesen Umstand können wir für eine sichere physikalische Verschlüsselung nutzen. Die Verschränkung von Teilchen ist damit eine wesentliche Grundlage der Informationsübertragung in Quantennetzwerken“, erläutert Hansenne.
Quantennetzwerke zeichnen sich dadurch aus, dass sowohl die Verbindungen selbst als auch die Knotenpunkte zwischen den Verbindungen Quanteneigenschaften besitzen – das bedeutet, dass sie Quantenzustände herstellen, weitersenden, empfangen und speichern können. „Damit die Kommunikation in einem solchen Netzwerk auch über größere Distanzen funktioniert, muss an den richtigen Stellen Verschränkung erzeugt werden. Und natürlich ist es auch wichtig zu wissen, ob die durch die Verschränkung entstandenen Verbindungen auch wirklich funktionieren“, erklärt Prof. Dr. Otfried Gühne, der an der Uni Siegen die Arbeitsgruppe „Theoretische Quantenoptik“ leitet und Co-Autor der aktuellen Veröffentlichung ist.
Um diese Fragen zu klären, haben Hansenne, Gühne und ihre Kollegen Zhen-Peng Xu und Tristan Kraft einen Trick angewandt: Um auf die Eigenschaften eines bestimmten Netzwerks zu schließen, analysieren sie gleich mehrere Kopien dieses Netzwerks. „Dort haben wir die Möglichkeit, Verschränkungen und Verbindungen immer wieder neu anzuordnen. Betrachtet man anschließend alle Anordnungen, die möglich sind, so ergeben sich daraus neue Einsichten in das ursprüngliche Netzwerk“, beschreibt Hansenne die vom Siegener Team entwickelte Methode. In Verbindung mit bestimmten Symmetrien innerhalb des Netzwerks ist es den PhysikerInnen so gelungen, einfache und messbare Kriterien dafür abzuleiten, wo Quantenverschränkung vorliegt und wo nicht.
„Unsere Ergebnisse ermöglichen es uns vor allem auch, zu überprüfen, ob eine bestimmte Verbindung in dem vorliegenden Netzwerk intakt ist“, freut sich Gühne. Soll ein Netzwerk zur sicheren Kommunikation genutzt werden, ist es wichtig zu wissen, ob alle Verbindungen korrekt funktionieren. „Stellen Sie sich vor, Sie erwarten einen wichtigen Telefonanruf, aber ihre Leitung ist beschädigt. Wenn es kein System gibt, um Störungen zu prüfen, müssen sie möglicherweise lange warten“, erläutert Kiara Hansenne. Eine Methode zu haben, mit der sich zertifizieren lässt, dass die Verbindungen eines Netzwerks einwandfrei funktionieren, sei von entscheidender Bedeutung und im Hinblick auf die Vision eines „Quanteninternets“ eine wichtige Errungenschaft, betonen Gühne und Hansenne.
Kiara Hansenne ist im Herbst 2020 aus dem belgischen Lüttich an die Universität Siegen gekommen, um hier ihre Doktorarbeit zu schreiben. Ihre Dissertation wird mit einem Stipendium des „House of Young Talents“ gefördert. Die Publikation in der Zeitschrift „Nature Communications“ ist im Rahmen ihres Promotionsprojektes entstanden. „Mit der Veröffentlichung in diesem Journal hatte ich gar nicht gerechnet, aber sie freut mich natürlich sehr“, sagt Hansenne. „Das ist eine tolle Bestätigung meiner bisherigen Arbeit.“
Die Veröffentlichung in Nature Communications finden Sie hier.Kontakt:
Prof. Dr. Otfried Gühne
Arbeitsgruppe „Theoretische Quantenoptik“ der Universität Siegen
E-Mail: otfried.guehne@uni-siegen.de
Aktualisiert um 10:14 am 13. Februar 2022 von Thomas Reppel
Wahlen zum Fakultätsrat (Gruppe der Studierenden)
Abdülkadir Kara, Hannes Seppelt und Seda Yilmaz vertreten ab Februar für ein Jahr die Studierenden der NT-Fakultät im Fakultätsrat. Bekanntgabe Wahlergebnis.
Die Wahlniederschrift finden Sie hier
Aktualisiert um 10:13 am 1. Februar 2022 von Thomas Reppel
Für ultradünne Schichten um die halbe Welt
Dr. Thaís Chagas kommt aus der brasilianischen Millionen-Stadt Belo Horizonte. Mit einem Stipendium der Alexander-von-Humboldt-Stiftung forscht sie nun zwei Jahre lang an der Uni Siegen im Bereich der experimentellen Nanophysik.
Knapp 30 Grad und strahlender Sonnenschein – verglichen mit vier Grad, dicken Wolken und vereinzelten Schneeregen-Schauern. Was das Wetter angeht, hat Dr. Thaís Chagas keinen guten Tausch gemacht, das ist in ihrer brasilianischen Heimatstadt Belo Horizonte aktuell deutlich besser als im Siegerland. Trotzdem ist die 30jährige Physikerin froh, hier zu sein: Ein Stipendium der Alexander-von-Humboldt-Stiftung ermöglicht ihr einen zweijährigen Forschungsaufenthalt am Department Physik der Uni Siegen. Als Mitglied der Arbeitsgruppe „Experimentelle Nanophysik“ von Prof. Dr. Carsten Busse beschäftigt sich Chagas mit „ultradünnen Schichten“ – neuartigen, zweidimensionalen Materialien mit sehr speziellen Eigenschaften.
„Zu solchen Materialien habe ich auch in Brasilien schon intensiv geforscht. Dort ging es vor allem darum, sie mikroskopisch zu untersuchen. Hier in Siegen gibt es die Technik und das Know-How, die Materialien auch selbst herzustellen und mit ihnen zu experimentieren“, sagt Thaís Chagas. Durch eine Publikation war die Brasilianerin auf die Forschungsarbeit der Siegener PhysikerInnen um Prof. Busse aufmerksam geworden. Im Herbst 2018 kam sie dann für einen ersten, einjährigen Forschungsaufenthalt an die Uni Siegen – finanziert durch ein Stipendium der brasilianischen Regierung. Die Chemie zwischen ihr und dem Siegener Team stimmte: Prof. Busse begleitete anschließend als Zweitbetreuer Chagas` Doktorarbeit an ihrer brasilianischen Universität und freut sich, dass die Nachwuchswissenschaftlerin jetzt erneut Mitglied seiner Arbeitsgruppe ist.
„Es ist toll, dass Thaís diesmal für längere Zeit mit uns arbeiten kann. Das Stipendium der Humboldt-Stiftung schafft dafür die allerbesten Rahmenbedingungen“, sagt Prof. Busse, der immer noch erleichtert ist, dass er „seine“ Stipendiatin im Herbst tatsächlich in Siegen begrüßen konnte. Corona habe den Plänen beinahe einen Strich durch die Rechnung gemacht, erinnern sich Busse und Chagas: „Im Sommer gab es einen kompletten Einreise-Stopp aus Brasilien. Alle Versuche, eine Reiseerlaubnis zu bekommen, erschienen aussichtslos.“ Chagas hatte sogar schon darüber nachgedacht, über Ecuador und Portugal nach Deutschland zu kommen, als die Regeln plötzlich gelockert wurden. „Gerade noch rechtzeitig“, freut sich die Brasilianerin.
Dank schon bestehender Freundschaften aus ihrer ersten Zeit in Siegen konnte Thaís Chagas nach ihrer Ankunft schnell wieder Fuß fassen. „Das ‚International Office‘ der Uni hat mir auch sehr geholfen. Es organisiert zum Beispiel regelmäßige Treffen mit anderen internationalen Studierenden – auch wenn die wegen Corona zurzeit leider nur digital stattfinden“, erzählt Chagas. Auch mit den Siegenerinnen und Siegenern habe sie nur positive Erfahrungen gemacht: „Im Alltag sind die Menschen sehr nett und hilfsbereit. Sehr viele bieten mir ihre Unterstützung an.“
Die Forschungsarbeit der Post-Doktorandin läuft wenige Wochen nach dem offiziellen Start des Stipendiums schon wieder auf Hochtouren: Am Beispiel des Schicht-Kristalls „Tantaldisulfid“ untersucht sie, wie sich die Eigenschaften von Materialien gezielt verändern lassen. „Das ist möglich, wenn wir die atomare Struktur verändern, zum Beispiel einzelne Atome hinzufügen. Die chemische Formel bleibt dieselbe, aber das Material liegt dann in einer anderen ‚Phase‘ vor, wie wir Physiker sagen“, erklärt Chagas. Das Faszinierende daran: „Ein- und dasselbe Material kann in einer Phase zum Beispiel Strom leiten, in einer anderen Phase besitzt es diese Eigenschaft hingegen nicht.“
Prof. Busse und sein Team experimentieren schon seit vielen Jahren mit solchen Materialien, die in Zukunft zum Beispiel beim Bau winziger Chips oder Sensoren zum Einsatz kommen könnten. „Der Startpunkt war Graphen, inzwischen hat sich daraus eine ganze Familie zweidimensionaler Materialien entwickelt“, sagt der Arbeitsgruppenleiter. Häufig machen er und seine KollegInnen dabei auch überraschende Entdeckungen. „Das ist ein bisschen wir bei Alexander von Humboldt und seinen Forschungsreisen. Was man vermeintlich ‚nebenbei‘ entdeckt, ist manchmal spannender als das, wonach man eigentlich gesucht hat“, lacht Busse.
Offen sein, lernen und möglichst viel mitnehmen – das hat sich Thaís Chagas für ihren Forschungsaufenthalt an der Uni Siegen vorgenommen. Grundsätzlich kann sie sich auch vorstellen, länger als zwei Jahre zu bleiben. „Allerdings vermisse ich meine Familie schon sehr. Und ein bisschen auch das warme Wetter in Belo Horizonte“, gibt die Brasilianerin zu.
Kontakt:
Prof. Dr. Carsten Busse
E-Mail: Busse@physik.uni-siegen.de
Tel: 0271 740 3583
Aktualisiert um 10:11 am 1. Februar 2022 von Thomas Reppel